Rücksichtsloser Audiomüll


    Mit spitzer Feder …


    (Bild: zVg)

    Bling – auf meinem Smartphone kommt eine Nachricht rein. Kein geschriebenes SMS, nein eine Sprachnachricht. Keine Ahnung, worum es geht! Ich sollte wohl irgendwie reagieren, bin aber unterwegs, also bleibt mir nichts anderes übrig, als mein Ohr ans Telefon zu pressen. Es ist laut um mich herum und ich verstehe nicht alles, aber nachfragen kann ich nicht, weil am anderen Ende der Leitung niemand ist. Plötzlich stoppt die Aufnahme, bin wohl aus Versehen auf die Pausentaste gekommen und dann plärrt die Nachricht so laut, dass das ganze Umfeld mithören kann. Einfach nur ärgerlich! Schaffe ich es dann, die ganze Nachricht adäquat abzuspielen, naht die nächste Bredouille. Obwohl ich ein relativ gutes Kurz- und Langzeitgedächtnis habe, muss ich immer wieder Punkt für Punkt durchgehen, was der Absender nun von mir will. Wäre es eine schriftliche Nachricht gewesen, hätte ich alles bequem nachlesen können.

    Viele Menschen finden es praktisch, mit dem Smartphone Sprachnachrichten zu verschicken. Schlimm ist es aber für die, die damit zugemüllt werden. Es ist doch so: Mit echter Kommunikation ist es wie mit einem Ballspiel. Ein Anruf, eine Frage, der Anfang eines Gesprächs, das ist das Angebot. Ich signalisiere: Ja – oder eben Nein. Bei Ja folgt ein Passspiel, hin und her, du und ich – echter Austausch eben. Mit Sprachnachrichten auf WhatsApp ist das anders. Da nimmt das Gegenüber den Ball und haut ihn mir direkt ins Gesicht. Danach liegt der Ball in meinem Feld, und ich bin dran – notabene ob ich will oder nicht. Sprachnachrichten sind schlichtweg egoistisch. Ellenlanges Geplauder ohne Sinn und Verstand, ohne konkrete Message. Für mich ist das kein Angebot zur Kommunikation, das ist geistiger Missbrauch. Sprachnachrichten sind gut für alle, die sich selber gerne reden hören. Es gibt allerdings eine Ausnahme: Für Menschen mit Behinderungen, die Mühe haben via SMS eine Nachricht zu verfassen, sind Sprachnachrichten eine gute Option. Wobei aber auch diejenigen sich gerne vor dem Abschicken überlegen können, wie ausführlich sie die Sprachnachricht gestalten wollen. Die grösste Frechheit, die mir mit Sprachnachrichten je passiert ist, war ein 9-minütiges Geplauder. Gut erzogen wie ich bin, und aus Anstand und Respekt gegenüber meinen Mitmenschen, habe ich die Nachricht zähneknirschend abgehört. Ich fühle mich unter Druck. Der Ball liegt in meinem Feld, und ihn liegen lassen, tun nur Spielverderber.

    Doch wie soll ich antworten? Mein Gegenüber hat sich ja selber gegen ein Telefonat und für diesen Audiomüll entschieden, für ein Format, das keine Zwischenrufe, Nachfragen zulässt. Wenn man ehrlich ist, sind Sprachnachrichten Kommunikationssackgassen – eine Runde Märchenstunde. Völlig sinnbefreite Datenmengen, sie gehören einfach abgeschafft! Anders als geschriebene Nachrichten verlangen Sie meine volle Aufmerksamkeit. Überfliegen funktioniert hier nicht. Den ganzen Müll in einer normalen Textnachricht aufschreiben, das würde sich kein Mensch antun. Neun Minuten Sprachnachricht, das gäbe ein halbes Buch. Wann haben Menschen angefangen, andere Menschen ihren gedanklichen Sondermüll vor die Füsse zu kippen? Nicht, dass man sich unter Freundinnen alles haarklein erzählen kann, aber dann doch bitte mit irgendeinem sinnvollen Inhalt – entweder man will einen Rat, eine Reaktion oder einfach gemeinsam lachen. Das geht aber nur, wenn man miteinander kommuniziert und nicht eine Sprachnachricht schickt. Denn wie kann ein Monolog Teil eines Dialoges sein? Aus gutem Grund habe ich keine Mailbox, Wer was will, soll nochmals anrufen!

    Nach den 9-minütigen Gedankensalat bin ich erschöpft, leicht hässig. Ich schreibe deutlich und klar in gutem Deutsch eine SMS zurück. Übrigens, das Zweite, was mich im digitalen Dialog nervt, sind WhatsApp in Mundart einfach eine Zumutung. Diese Nachrichten muss ich auch sieben Mal lesen bis ich überhaupt entschlüsselt habe, was der Absender will! Deshalb: Ist es nicht eine grundlegende Einstellung, die Zeit des anderen zu respektieren und sie nicht absichtlich zu verschwenden? Also hört bitte auf, diese Dinger an mich zu schicken. Ich antworte nämlich dann Folgendes: Cool, kannst du es mir bitte schreiben oder anrufen? Und wenn ich jetzt als zickig und altbacken gelte, dann ist es eben so! Von mir jedenfalls kriegt ihr nie eine Sprachnachricht, ich belästige meine Mitmenschen nicht mit irgendwelchem zeitaufwändigen Gebabbel.

    Herzlichst,
    Ihre Corinne Remund
    Verlagsredaktorin

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